Boedo, Buenos Aires
Ist das Bild echt oder manipuliert? In letzter Zeit sind die Bilder von Gilles manipuliert und collagiert, zweckentfremdet. Von diesem Aspekt gehe ich aus. Die zwei älteren Damen in ihren überlangen Jacken sind keine Zwillinge, sie sind nicht einmal Drillinge, sondern Klone. Und die Fassade des Gimnasio, hat sie ein Loch in der als Mosaik gekachelten Wand, zwischen den Klonen? Wohin kann man schauen, wenn sich die Personenanzahl plötzlich multipliziert?
Gehen wir davon aus, dass es ein kleines Guckloch hat. Ich kenne das Gebäude, es ist vis à vis einem argentinischen Einkaufsladen, der sich Coto nennt. Dort habe ich eine Stunde stehend Sozialstudien betrieben. Der Armut gefrönt, sie stoisch betrachtet. Habe alle Gattungen bedürftiger Menschen observiert, wie sie endlich mit ihrem dürftigen Einkauf an der Kasse angekommen sind und viele unterschiedliche Plastikgeldkarten aus ihren fettigen, abgetragenen Taschen zogen. Karten in verschiedenen Farben, die an der Kasse nicht mal mehr einen Piep abgaben. Ich wollte schon lange diesem sorgenvollen Blick entfliehen, doch ich konnte nicht. Wie angewurzelt blieb ich stehen, erstaunt über all die Kreaturen, die zum Teil mit nackten Füssen in alten Schuhen steckten, die kaum noch eine Isolation zwischen nassem Asphalt der Grossstadt und der geschundenen Haut abgaben. Sie mussten irgendwie einkaufen. Behinderte, die mich auf spanisch fragten, ob sie vor mir anstehen können, weil sie einen Arm oder auch ein Bein weniger hatten. Einer hatte nur noch ein Auge. GIMNASIO steht da, an der Fassade, vis à vis der Strasse. Ich habe den goldenen Schriftzug auf orientalischem Grund schon lange entdeckt. Bildung oder Fitness? Bildung wäre angebracht für mehr Gleichheit. Endlich kann auch ich meine dürftigen Waren bezahlen. Die abgepackten Oliven stecke ich in meine Hugo-Boss-Kitteltasche. Das Öl läuft mir Minuten später über die Hosen, über die Kleider. Einen schweren Geruch nehme ich wahr. Die Verpackung hat ein Leck. Teufel. Eine Katastrophe, totales Desaster.
Die zwei geklonten Damen, auf was schauen sie? Ich möchte der Armut etwas entgegensetzen, ich als Privilegierter Beobachter des Lebens. Ich stehle mich vollgekleckert vor das Gimnasio, um den älteren Damen etwas vorzuspielen. Gilles, ich nehme dich an meine fettige Hand. Wir wechseln die Straßenseite in Boedo, holen einen befreundeten Tango-Tänzer und zu dritt bespielen wir ein Reenactement von Band a part, dieser Szene wo sie zu dritt in einem Bistro tanzen und reden. Poesie gepaart mit dem Tanzen. Zuerst üben wir mit den Fingern den Takt, dann gehen wir auf die Bühne, sprechen laut den Dialog und beginnen zu tanzen. Sprechen von allerlei Thesen. Das alles wiederholen wir zu Musik von Ray Charles, bis die zwei alten Damen sich wieder zurückverwandelt haben und auch die Armut sich wandelt. Bis es keine Ungerechtigkeiten mehr gibt.